Der stärkste Bullenindikator

Der stärkste Bullenindikator
von Torsten Ewert

Vor dem Wochenende analysierten ein Kollege und ich noch schnell die Märkte. Er entwarf dabei unter anderem ein Szenario, wonach die Aktienkurse um rund 20 % einbrechen könnten. Das ist nicht auszuschließen, aber aus meiner Sicht spricht vor allem ein besonders bullisher Indikator dagegen.

Das Für und Wider einer weiteren Rally

Keine Frage, wenn DAX, Dow und alle anderen Indizes, die jüngst neue Hochs erreicht haben, wieder unter ihre alten Hochs zurückfallen, entstünden bearishe Fehlausbrüche, die weitere Kursverluste nach sich ziehen könnten. Und womöglich fallen die Kurse dann so stark, wie es der Kollege projiziert hat. Ausschließen kann man so ein Szenario nie.

Angesichts der geopolitischen Lage (Konfrontation zwischen dem Westen und Russland bzw. China, der Eskalation im Nahen Osten), der Konjunkturschwäche in China und Europa sowie dem möglichen Nachlassen der KI-Euphorie als wichtigen Kurstreiber gibt es sogar einige fundamentale und stimmungstechnische Gründe für dieses Szenario.

Aber es gibt auch positive Aspekte: Zunächst sind die genannten Belastungsfaktoren schon lange bekannt oder offensichtlich. Sie sollten also weitgehend eingepreist sein. Trotzdem erreichten einige Indizes die erwähnten neuen Hochs.

Zudem sinken weltweit Inflation und Zinsen – ein positiver Einfluss auf die Aktienmärkte. Und die Angst vor einer Rezession in den USA, die noch Anfang August mitverantwortlich für einen crashartigen Kurseinbruch war, scheint verflogen – zumal die jüngsten Konjunkturdaten aus den USA (Einkaufsmanagerindizes und Arbeitsmarktzahlen) überwiegend besser und zum Teil besser als erwartet ausgefallen sind.

Diese beiden Charts sind jetzt entscheidend!

Aber gut, über all das kann man unter Umständen auch anderer Meinung sein (z.B. sind auch die fallenden Zinsen längst ein „alter Hut“). Für mich ist daher aktuell ein Indikator entscheidend, der sich erstmals seit sehr langer Zeit bullish präsentiert, und das zugleich ungewöhnlich stark.

Dazu die beiden folgenden Charts:

So hat der US-Leitindex S&P 500 jüngst ein neues Hoch erreicht, während der Nasdaq 100 in der großen Kurslücke unterhalb seines Hochs und an der runden 20.000-Punkte-Marke gescheitert und damit wieder ein gutes Stück von neuen Hochs entfernt ist.

Der Nasdaq 100 gilt – nicht ganz zu Unrecht – als Tech-Index, und tatsächlich zeigen die Charts der richtigen Tech-Indizes ähnliche Kursverläufe. Der Tech-Sektor hinkt also trotz der jüngsten Erholung von Nvidia und Co. dem breiten Markt weiter hinterher.

Auf diese Frage gibt es nur eine Antwort

Nun ist allerdings der Tech-Sektor im S&P 500 bekanntlich am höchsten gewichtet. Per 30.09. betrug dieses Gewicht 31,7 %, also fast ein Drittel! Wenn aber der Tech-Sektor schwächelt und dennoch ein derart starkes Gewicht im S&P 500 hat, wie kann es dann sein, dass der S&P 500 trotzdem auf neue Hochs gestiegen ist und nicht von den schwachen Tech-Werten gedrückt wurde?

Die Antwort auf diese Frage kann nur lauten, dass offenbar andere Aktien bzw. Sektoren die Schwäche des Tech-Sektors nicht nur kompensierten, sondern so überstrahlten, dass der Kurs nach oben ausbrach.

Und tatsächlich haben längst andere Sektoren den Tech-Sektor in der Rangliste der Relativen Stärke von den vorderen Plätzen verdrängt. So liegen aktuell Versorger und Finanzwerte dank der (Erwartung von) sinkenden Zinsen ganz vorn. Aus dem gleichen Grund liegt mittlerweile auch der Immobiliensektor mit dem Tech-Sektor fast gleichauf, zudem zeigen Basiskonsumgüter seit einiger Zeit eine hohe Stärke.

Der Favoritenwechsel an den Aktienmärkten ist da!

Mit anderen Worten: Die Favoriten der Investoren haben gewechselt. Statt weiterhin der „Tech only“-Strategie anzuhängen, stellen sie sich inzwischen breit(er) auf.

Aber das würden sie doch nicht tun, wenn sie für den Gesamtmarkt bearish wären! Diese Rotation ist ein starkes Indiz dafür, dass die Börsianer die Rally längst noch nicht abgeschrieben haben, sondern unter anderen Vorzeichen fortsetzen wollen!

Und das – die Divergenz zwischen S&P 500 und Nasdaq 100 – ist für mich derzeit der stärkste bullishe Indikator, den es gibt. Auch, weil diese Divergenz so ungewöhnlich, fast schon einzigartig ist. Der Grund: Die Dominanz der Tech-Werte in den vergangenen Jahren und im Gegensatz dazu die relative Schwäche der anderen Sektoren degradierte den S&P 500 lange Zeit zum bloßen Anhängsel des Tech-Sektors bzw. des Nasdaq 100.

Nun hat sich der S&P 500 endlich von dieser Abhängigkeit gelöst, und auf welche Weise er das getan hat, ist ganz klar bullish.

Worauf Sie sich nun gefasst machen müssen

Falls diese Stärke und der Ausbruch im S&P 500 Bestand haben, sollten Sie sich auf zwei weitere Besonderheiten gefasst machen: Erstens könnte das übliche Tief der Herbstkorrektur im Oktober ausfallen, das nach den durchschnittlichen saisonalen Kursverläufen im Oktober zu erwarten ist, und zweitens könnte damit die Jahresendrally schon begonnen haben, die erst nach einem markanten Oktobertief zu erwarten wäre.

Vielleicht halten Sie dieses bullishe Szenario für unwahrscheinlich und glauben eher an die bearishe Version meines Kollegen. Dann sollten Sie allerdings hoffen, dass nicht auch noch der Nasdaq 100 nach oben ausbricht! Denn wenn das geschieht – also die Tech-Werte auch nur halbwegs zu ihrer alten Stärke zurückkehren –, dürften die Kurse kein Halten mehr kennen…

Mit besten Grüßen

Ihr Torsten Ewert

(Quelle: www.stockstreet.de)

Sven Weisenhaus ist Chefredakteur des renommierten Börsen-Newsletters Börse-Intern, der vom bekannten Börsen-Portal Stockstreet.de herausgegeben wird. Er schreibt dort auch die Analysen des „Target-Trend-Spezial“ - einem börsentäglichen Dienst, der den DAX und andere Indices nach der berühmten Target-Trend-Methode analysiert.

www.stockstreet.de

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