Der DAX hat von seinem Tief bei 8.255,65 Punkten bis zum bisherigen Hoch der Kurserholung vom Mittwoch vergangener Woche bei 10.137,62 Punkten stolze 22,8 % hinzugewonnen.
Ähnliches gilt für die US-Indizes. Eigentlich müssten die Medien und vermeintlichen Börsenexperten jetzt reihenweise berichten, dass sich die Aktienmärkte damit wieder in einem Bullenmarkt befinden. Denn als die Indizes um mehr als 20 % eingebrochen waren, wurde schließlich auch ein Bärenmarkt ausgerufen. Doch komisch, von einem neuen Bullenmarkt zu sprechen, scheint sich derzeit noch niemand zu trauen.
Von einem neuen Bullenmarkt noch weit entfernt
Aus meiner Sicht auch völlig zu Recht, denn dem DAX ist es bislang nach wie vor nicht gelungen, das Mindestziel einer Kurserholung, das 38,20%-Fibonacci-Retracement des gesamten Crashs, zu erreichen. Und schon in der Börse-Intern vom 13. März hatte ich geschrieben, dass ich „solche Festlegungen mit willkürlich festgelegten Marken (-20 %) für absoluten Humbug“ halte. Und die aktuelle Entwicklung bestätigt, dass es sich dabei um absoluten Schwachsinn handelt, der irgendwann einmal in die Welt gesetzt wurde und seitdem fleißig abgeschrieben wird.
Fakt ist derzeit, dass wir eine crashartige Korrektur gesehen haben. Und darauf folgte eine Gegenbewegung. Diese fiel bislang relativ schwach aus. Und daher ist aktuell davon auszugehen, dass sich die Aktienmärkte bald wieder auf den Weg nach Süden begeben werden. In diesem Fall würden wir langsam in einen Bereich kommen, ab dem man von einem Bärenmarkt sprechen könnte.
Anleger setzen auf einen V-förmigen Verlauf
Eine weitere Abwärtswelle ist auch deshalb wahrscheinlich, weil die Marktteilnehmer inzwischen schon wieder recht sorglos wirken. Obwohl die Nachrichten weiterhin überwiegend negativ sind, haben die Anleger mit ihren Käufen scheinbar auf eine schnelle Konjunkturerholung gesetzt, also auf einen V-förmigen Verlauf der Krise.
Kann sich Chinas Wirtschaft so schnell erholen?
Dieser mag auch durchaus noch realistisch sein. Zumal aktuelle Daten aus China darauf hinweisen, dass sich die dortige Wirtschaft bereits V-förmig entwickelt. So ist Chinas offizieller Einkaufsmanagerindex (PMI) für das verarbeitende Gewerbe nach dem scharfen Einbruch auf 35,7 Punkte im Februar (siehe Börse-Intern vom 4. März) nach nur einem Monat schon wieder über die 50-Punkte-Marke zurückgekehrt, ab der Wachstum signalisiert wird. Für den Monat März wird der Frühindikator mit 52 Punkten angegeben.
Chinas Dienstleistungssektor expandiert demnach ebenfalls schon wieder. Der offizielle PMI für das nicht verarbeitenden Gewerbe stieg von 29,6 im Februar auf nun 52,3 Punkte an.
Ich habe da allerdings so meine Zweifel, dass die chinesische Wirtschaft sich tatsächlich so schnell erholen und wieder anspringen kann. Denn es gibt aktuell auch Kritik an den in China gemeldeten Zahlen zur Coronavirus-Epidemie, die wohl zuletzt so groß wurde, dass die Behörden eine Überarbeitung der Statistik zusagten. Offenbar wurden Infizierte, die keine Symptome zeigten, nicht als infiziert gezählt. Die Virusausbreitung in China scheint also deutlich weitreichender, als es die offiziellen Zahlen vermitteln. Und vermutlich stellen die offiziellen Einkaufsmanagerdaten die Realität ebenfalls zu positiv dar.
Außerdem handelt es sich bei derartigen Daten eben auch „nur“ um Stimmungsindikatoren. Und bei den Einkaufsmanagerdaten aus der Eurozone und aus Deutschland hatte ich bemängelt, dass diese Ende 2019 die Lage zu pessimistisch gezeichnet hatten. Nun zeichnen die Daten aus China die Realität eben vermutlich etwas zu optimistisch. Mit solchen Ungenauigkeiten müssen wir uns eben abfinden.
Die pessimistischsten Prognosen scheinen Realität zu werden
Ähnliches gilt ja auch für die Prognosen zum möglichen Wirtschaftswachstum im 1. und 2. Quartal 2020, die zuletzt meilenweit auseinanderlagen. Für Deutschland zeigt dies die folgende Grafik von Statista aktuell recht anschaulich.
Und was die Wirtschaftsleistung der USA angeht, so hat die US-Investmentbank JP Morgan ihre Prognosen inzwischen deutlich nach unten revidiert. Das US-BIP soll nun im 1. Quartal um 10 % und im 2. Quartal um 25 % einbrechen. Die Bank folgt damit nun den Erwartungen von Commerzbank und Goldman Sachs. Zuvor war JP Morgan von einem BIP-Rückgang um 4 % bzw. 14 % ausgegangen (siehe Börse-Intern vom 24. März).
Die pessimistischsten Prognosen scheinen inzwischen zu den wahrscheinlichsten zu werden. Selbst US-Präsident Donald Trump, der die Vorschriften zur Einschränkung sozialer Kontakte eigentlich bereits zu Ostern lockern wollte, hat diese nun bis zum 30. April verlängert. Trump erwartet aktuell, dass sich die USA erst Anfang Juni auf dem Weg aus der Krise befinden.
Von einer Übertreibung in die nächste?
Und auch deshalb dürfte sich die Kurserholung an den Aktienmärkten eigentlich kaum noch deutlich fortsetzen. Zumal ein großer Teil der aktuellen Kursgewinne nach dem Short-Squeeze inzwischen auch auf das sogenannte Window-Dressing zum Quartalsende zurückzuführen sind. Dazu berichtet Goldman Sachs von automatischen Käufen von Pensionskassen in den USA zum Monats- und Quartalsende. Ob die Kursgewinne nachhaltig sind, wird sich also ab heute zeigen.
Aber wer weiß, schon Ende 2019 / Anfang 2020 liefen die Aktienkurse deutlich weiter nach oben, als ich es erwartet hatte. Und mit der aktuellen Geldflut der Notenbanken wäre es natürlich denkbar, dass wir von einer Übertreibung gleich in die nächste geraten.
Das ist für den DAX aktuell wichtig
Für den DAX gilt jedenfalls: Sollte der Index unter sein Ausbruchsniveau zwischen ca. 9.200 und 9.145 Punkten zurückfallen (roter Bereich im Chart oben), steigt damit die Gefahr für ein neuerliches Korrekturtief erheblich. Kann er seine aktuelle Konsolidierung, die vollständig oberhalb des Ausbruchsniveaus stattfindet, möglichst dynamisch nach oben auflösen, dürfte zumindest das 38,20er Fibonacci-Retracement angelaufen werden.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Geldanlage
Ihr
Sven Weisenhaus
(Quelle: www.stockstreet.de)